Übergreifend

„Klimaklagen“ – zunehmende Gefahr für Unternehmen?

Immer häufiger hört oder liest man von „Klimaklagen“. Doch was verbirgt sich konkret hinter diesem Begriff?

Es handelt sich hierbei um Klagen im Zusammenhang mit dem Klimaschutz, gerichtet gegen das Verhalten von Unternehmen, Staaten und Organisationen im Hinblick auf den Klimawandel. Aktuelles Beispiel ist die Klage von sechs jungen Portugiesen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen 32 Staaten (Quelle: Tagesschau Online, 27.09.2023). 

Zunächst stellt sich die Frage, ob es tatsächlich eine spürbar steigende Anzahl gibt oder ob der Eindruck, es gäbe mehr solcher Klagen, an der erhöhten Aufmerksamkeit für derartige Verfahren liegt. Ein Blick auf den „Global Climate Litigation Report“ der Vereinten Nationen (2023 Status Review) verhilft zu einer eindeutigen Aussage: Sowohl die Anzahl der Klagen als auch die Zahl der betroffenen Länder und Jurisdiktionen hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht. 

Im Zeitraum von März 2017 bis Dezember 2022 hat sich die Gesamtzahl der Verfahren von 884 auf 2.180 erhöht (das bedeutet ein Anstieg von 247 Prozent). Somit wurde in den fünf Jahren des Betrachtungszeitraums ungefähr die zweieinhalbfache Anzahl von (Klima-)Verfahren eingebracht wie in den 31 Jahren – seit der Aufzeichnung im Jahr 1986 – zuvor.

Weiterhin fällt auf, dass der Anteil derartiger Verfahren in den USA mit großem Abstand überwiegt; in 2022 fielen circa 70 Prozent (!) aller weltweit registrierten Fälle dort an, gefolgt von Australien (127 Verfahren), Großbritannien (79 Verfahren), bei der Europäischen Union und in Deutschland verzeichnen wir 62 beziehungsweise 38 Verfahren. (Quelle hierzu insgesamt: UN Global Climate Litigation Report“, 2023 Status Review)

Interessant ist auch, dass die Anzahl der betroffenen Jurisdiktionen in ähnlichem Umfang gestiegen ist, und zwar von 24 auf 65 (also um 270 Prozent). In den allermeisten Jurisdiktionen liegt die Anzahl der Verfahren allerdings unter zehn, im – unter Umweltgesichtspunkten sicherlich nicht vorbildlichen – China sind beispielsweise nur zwei Verfahren anhängig, in Russland lediglich ein Verfahren. Auch ist der Anteil der Verfahren auf dem afrikanischen Kontinent (unter einem Prozent) und in Asien liegt – dieser bemerkenswert gering – bei zirka zwei Prozent.


Um die Bedeutung und Relevanz dieser Klimaklagen als Instrument gegen den Klimawandel beurteilen zu können, ebenso wie die mit den Klagen einhergehenden Gefahren für die potenziell betroffenen Unternehmen, können verschiedene Gesichtspunkte betrachtet werden: 

  1. Motivation der Kläger

    Warum werden Klimawandel-Klagen eingereicht? 

    Als mögliche Motivation kommen private Ansprüche auf Schaden- beziehungsweise Kostenersatz in Frage. Ein Beispiel hierfür ist die Klage des peruanischen Bauern Lliuyas gegen RWE, aktuell vor dem Oberlandesgericht Hamm anhängig. Dabei geht es um Kostenersatz für Schutzmaßnahmen gegen einen möglichen Dammbruch als Folge der klimabedingten Gletscherschmelze, der das Dorf des Klägers bedrohen würde.

    Möglich sind aber auch eher strategisch gelagerte Klagen wie die oben angeführte Klage der jungen Portugiesen vor dem EGMR, oder auch bereits anhängige Klagen gegen Autohersteller zur Begrenzung der Emissionen. Ziel dieser ist es, regulatorische Maßnahmen zu erzwingen oder Unterlassungsansprüche durchzusetzen.

    Schließlich gibt es noch Klagen von Investoren gegen Unternehmen und deren Leitung, zum Beispiel wegen gesunkener Aktienkurse aufgrund der getroffenen Entscheidungen im Zusammenhang mit Umweltthemen, oft auch unter dem Begriff „Greenwashing“ geführt.

    Alle diese Klagen, aufgrund unterschiedlicher Motivationen, sind grundsätzlich geeignet, im Erfolgsfall eine Vielzahl gleichartiger Klagen auszulösen.
     
  2. Art der Klage

    Eine weitere mögliche Differenzierung bietet die Unterscheidung zwischen einer direkten und einer indirekten Klimaklage.

    Die direkte Klimaklage ist die Klage auf Haftung wegen direkter Folgen des Klimawandels als solchen. Diese Klage ist in der Regel auf Schadenersatz gerichtet.

    Bei den indirekten Klimaklagen geht es um die mögliche Haftung im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Diese Klagen sind oftmals gegen die Organe von Unternehmen wegen des Vorwurfs der Pflichtverletzung gerichtet und haben beispielsweise den Vorwurf des „Greenwashings“ zum Gegenstand oder sind auf das Erzwingen von Maßnahmen gerichtet.

    Direkte Klimaklagen richten sich meistens gegen Unternehmen der Energieindustrie sowie treibhausgasintensive Industrien, indirekte Klimaklagen möglicherweise daneben auch noch gegen Berater sowie die finanzierende Industrie (zum Beispiel Banken).

     
  3. Erfolgsaussichten derartiger Klagen

    Von entscheidender Bedeutung ist natürlich die Frage nach den Erfolgsaussichten dieser Klagen. Bislang war in Deutschland keine der auf Schadenersatz gerichteten Klagen erfolgreich. Allerdings werden solche Klagen oftmals auch nicht mehr als unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen. Vielmehr machen die Gerichte durch ihr Handeln deutlich, dass zumindest Ansatzpunkte für eine Haftung gesehen werden. So befindet sich das oben genannte Verfahren Lliuyas gegen RWE inzwischen in der Beweisaufnahme. Das spricht auch für eine immer besser werdende Vorbereitung der Klimaklagen, inzwischen häufig unterstützt durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs), im genannten Fall zum Beispiel durch Germanwatch e.V. 

    Neue rechtliche Instrumente wie die Verbandsklage (basierend auf einer EU-Richtlinie) könnten in Zukunft die Geltendmachung derartiger Ansprüche durch viele potenziell betroffene Anspruchsteller möglicherweise erleichtern. 

    In Deutschland war bereits eine Verfassungsbeschwerde mehrerer Beschwerdeführer gegen die Bundesregierung wegen des aus Sicht der Beschwerdeführer unzureichenden Klimaschutzgesetzes teilweise erfolgreich. Die Regelungen über die nationalen Klimaschutzziele und die bis zum Jahr 2030 zulässigen Jahresemissionen seien insofern mit Grundrechten unvereinbar, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlten. Eine konkrete Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen BMW hingegen wurde vom Oberlandesgericht München in zweiter Instanz abgewiesen. Die Klägerin wollte erwirken, dass BMW nach dem 31. Oktober 2030 keine neuen PKWs mit Verbrennungsmotoren in den Verkehr bringen darf. Nach Ansicht des Gerichts lag jedoch kein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger vor.

    Änderungen in Gesetzgebung oder Rechtsprechung, die tendenziell ganz überwiegend dem Umwelt- und Klimaschutz dienen, könnten die Situation aber jederzeit verändern. Auch in anderen Ländern werden die Umweltgesetze zunehmend verschärft. 

    Selbst bei einem Obsiegen vor Gericht können hohe Verteidigungskosten anfallen, insbesondere bei Fällen in den USA. Erschwerend für die betroffenen Unternehmen hinzu kommt der einhergehende Imageschaden. 

     
  4. Versicherbarkeit derartiger Ansprüche

    Die Antwort auf die Frage der Versicherbarkeit solcher Ansprüche richtet sich nach dem konkreten Fall und ist im Vorhinein schwer zu treffen. 

    Bei direkten Klimaklagen aufgrund von Treibhausgasemissionen geht es in der Regel um bewusst und auf Basis geltenden Rechts getätigte Emissionen, sodass es an einem versicherten Störfall fehlen könnte. 

    Bei indirekten Klimaklagen, zum Beispiel wegen „Greenwashings“, stellt sich sehr wahrscheinlich häufig die Frage des konkret versicherten Personen- oder Sachschadens. Auch könnte bei derartigen Fällen ein vorsätzliches Handeln eingewendet werden. Im Rahmen von D&O-Verträgen kann es allerdings durchaus zu versicherten Ansprüchen gegen Organe kommen – mit dem Vorwurf, Pflichtverletzungen im Bereich des Klimaschutzes begangen zu haben (siehe hierzu Munich RE, Auswirkungen von Klimawandel-Klagen auf die Haftpflichtversicherung, Euroforum 2023).


Zusammenfassend ist festzustellen, dass durch Klimaklagen für Unternehmen inzwischen ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko besteht, welches sich durch Gesetzesänderungen weiter verschärfen könnte. Das gilt insbesondere für Unternehmen der insoweit kritischen Industrien wie der Energiewirtschaft oder der Chemie- und Automobilindustrie. Schadenfrequenz und Schadenhöhe werden zunehmen, den Unternehmen können selbst bei Obsiegen hohe Rechtsverteidigungskosten drohen. 

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