Kredit/Finanzierung

Der Automotor stottert

Finanzprobleme in der Zulieferindustrie und potenzielle Lösungen

In den vergangenen Wochen haben schlechte Nachrichten aus der Automobil-Industrie die Schlagzeilen beherrscht. Auftragsrückgänge führen zu Kurzarbeit und pessimistischen Einschätzungen der Zukunft. Als erstes spüren das die Zulieferer. Gleichzeitig müssen sie stark investieren, um mit ihren Produkten auch Mobilitätsformen der Zukunft wie E-Autos bedienen zu können. Wie das daraus resultierende Finanzierungsdilemma aufgelöst werden kann, beantworten Finanzierungs-Experte Christian Groschupp von der Top-Management-Beratung Wieselhuber & Partner und Matthias Bühler, Kreditversicherungsfachmann der deas Deutsche Assekurranz-Makler GmbH, im Interview.

Ist die Transformation der Automobilindustrie heute schon konkret spürbar für die Zulieferindustrie?

Christian Groschupp: Die Folgen sind heute für die meisten Zulieferer schon sehr konkret: Neben den Herausforderungen aus der Änderung der Teilestruktur, vor allem wegen rückläufiger Folgeaufträge im Bereich Verbrennungsmotor-Antriebsstrang, ist die Nachfrageentwicklung für neue Produkte der Elektromobilität nur sehr schwer kalkulierbar. Insgesamt sehen sich viele Zulieferer mit einer Phase von erhöhtem Entwicklungs- und Investitionsbedarf bei gleichzeitig gestiegener Unsicherheit auf der Abnehmerseite konfrontiert.

Wie sind die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die aktuellen Finanzierungsbedingungen für Automobilzulieferer?

Groschupp: Das Branchenrating steht insgesamt unter Druck, einige Finanzierer gehen aufgrund der Klumpenrisiken im Automotive Segment keine neuen Engagements mehr ein oder wollen aktiv die Kreditvolumina reduzieren. Wir sehen eine zunehmend restriktive Vergabe langfristiger Refinanzierungen oder nur mit deutlich verkürzten Laufzeiten, zum Beispiel im Bereich von Schuldscheindarlehen oder Konsortialkrediten. Die Bedeutung von Asset-Based-Finanzierungen wird weiter deutlich ansteigen. Dabei werden vor allem Investitionsdarlehen zukünftig noch stärker auf die Qualität des Booked-Business als eigentliches Asset abzielen.

Matthias Bühler: Automobilzulieferer waren in der Vergangenheit immer die typischen Zielkunden für die Banken. Die Ängste vor einer weniger guten Zukunft führen aber dazu, dass sich die Banken aus dieser Branche verabschieden beziehungsweise verabschieden wollen. Gleiches gilt auch für den Kreditversicherungsmarkt, der indirekt einer der größten Kreditgeber der Branche ist. Eine zielgerichtete, Asset-basierte Finanzierung wie Forderungsfinanzierungen oder Leasing-Konstruktionen sind die Alternative. Bankunabhängige Finanzierungsfonds oder digitale Finanzierungsplattformen können die Lücke im Bereich der Investitionsfinanzierung ebenfalls schließen.

Gibt es zur Finanzierung größerer Investitionen alternative Lösungen?

Groschupp: Neue beziehungsweise junge Produktionsanlagen können in spezielle Zweckgesellschaften, sogenannte SPVs (Special Purpose Vehicles) ausgelagert und somit außerhalb der Bilanz finanziert werden. Dem Zulieferer werden die Anlagen über eine Leasingstruktur dauerhaft zur Nutzung überlassen.

Welche Vorteile haben diese SPV-Lösungen gegenüber herkömmlichen Leasingfinanzierungen?

Groschupp: Die Finanzierung der Anlage kann weitgehend von der Bonität des Zulieferers entkoppelt und zu großen Teilen auf die Bedeutung des Projektes für den OEM als eigentliches „Asset“ abgestellt werden. Somit sind verbesserte Refinanzierungskonditionen möglich. Ein weiterer Vorteil für die Zulieferer ist, dass Investitionen für Automatisierung und teilweise auch Anlaufkosten mitfinanziert werden können. Anders als bei klassischem Leasing steht nicht die Drittverwendbarkeit einzelner Maschinen, sondern die Fertigungsanlage in ihrer Gesamtheit im Fokus. Für HGB-Bilanzierer ist eine außerbilanzielle Finanzierung der Anlagen möglich, bei IFRS-Bilanzierern wird die Leasingrate aufwandsmäßig dem Finanzergebnis zugeordnet.

Bühler: Die Automobilzulieferer haben einen großen Vorteil gegenüber anderen Branchen. Ein vom OEM (Original Equipment Manufacturer) erteilter Auftrag läuft immer über den gesamten Produktzyklus eines Fahrzeugs, also 6 bis 8 Jahre. Darüber hinaus hat der OEM produktbezogen auch nur noch einen oder zwei Zulieferer, vor 20 Jahren war die Abhängigkeit der OEM geringer. Aus diesen Gründen ist deutlich mehr Planbarkeit für Unternehmen und Finanzierer gewährleistet als in anderen Branchen. Im Fall einer Insolvenz des Zulieferers – und das ist leider immer das mit den Finanzierern zu diskutierende Risiko – ist die Drittverwertbarkeit einer Fertigungsanlage durch den OEM gewährleistet, da sonst die Bänder stillständen. Die Bewertung auf die gesamte Fertigungsanlage – im Gegensatz zu den Einzelmaschinen – macht also Sinn.

Ergeben sich Risiken, die über einen Transfer an den Versicherungsmarkt gedeckt werden sollten?

Bühler: Der Versicherungsmarkt ist für die Finanzierbarkeit des Geschäftsbetriebs als auch für die Investitionen zwingend notwendig. Ein „abgesichertes“ Geschäft lässt sich deutlich leichter finanzieren als wenn der Geldgeber sämtliche potentiellen Ausfallrisiken tragen soll.

So kennt das beim Leasing eigentlich jeder: Die Leasing-Gesellschaft fordert grundsätzlich für Maschinen-Leasing eine Elektronikversicherung, für KFZ-Leasing zumindest eine Teilkasko-, in der Regel aber eine Vollkaskoversicherung.

Wenn beispielsweise ein Anlagenbauer ein Kraftwerk im Iran bauen will, benötigt er zwingend eine Absicherung aller politisch bedingten Ausfallrisiken wie Sanktionen, Enteignungen oder ähnliches. Ansonsten findet sich kein Finanzierer für ein solches Langfristgeschäft.

Hat die Transformation auch Auswirkungen auf das Umlaufvermögen?

Bühler: Derzeit sieht man in der Automobilindustrie wieder einen Trend zur Verlängerung der Zahlungsziele. Verfügten die OEMs vor ein paar Jahren noch über große Cash-Positionen, wurden diese in den letzten Jahren aufgrund der Transformation in Richtung Elektromobilität und der Dieselaffäre stark reduziert. Verlängerte Zahlungsziele auf Zuliefererseite sind die logische Folge, stellt dies doch die günstigste Finanzierungsform für die OEMs oder die großen Zulieferer dar. In der Produktionskette werden diese längeren Zahlungsziele – wir sehen zwischenzeitlich wieder die 90 Tage – auf die schwächeren Glieder der Kette weitergegeben. Dies sind die typischen mittelständischen Zulieferer. Der Bedarf an Finanzierungen dieser Zahlungsziele steigt dadurch extrem an. Parallel hierzu sieht man auch eine Erhöhung der Lagerbestände, resultierend aus der immer breiteren Produktpalette der OEMs. Zusammengefasst lässt sich daher sagen, dass der Finanzierungsbedarf im Umlaufvermögen immer weiter ansteigen wird.

Welche Instrumente bieten sich zur Finanzierung des Umlaufvermögens an?

Bühler: Vor ca. 15 Jahren waren auch im Automobilzulieferersektor nur Bankfinanzierungen üblich, Einkaufsrahmenverträge der OEMs haben Factoring-Lösungen erschwert. Zwischenzeitlich befinden sich aber Zulieferer und OEM in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Diese führte dazu, dass Factoring-Finanzierungen und Lagerfinanzierungen auf Fertigwaren immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Die Weiterentwicklung dieser bankalternativen Produkte lässt zwischenzeitlich auch internationale Finanzierungsstrukturen zu. Der CFO eines Zulieferers muss schließlich auch die Tochtergesellschaften in Tschechien, Mexiko, den USA oder China finanzieren. Auch hier bieten sich beispielsweise SPV-Lösungen zur Bündelung von Forderungen oder Lagerbeständen an. Darüber hinaus kommen Supplier-Finanzierungsinstrumente verstärkt auf den Markt.

Groschupp: Zur Vorfinanzierung von Werkzeugen und Entwicklungsleistungen bieten sich Investmentplattformen mit entsprechender Branchenexpertise an, welche Finanzbedarfe verschiedener Zulieferer bündeln und über einen Zugang zu institutionellen Investoren verfügen. Bislang werden hier aber gewisse Mindestvolumen erwartet.

Unter welchen konkreten Bedingungen kann Factoring – das ja schon etabliert ist – noch zur weiteren Liquiditätsverbesserung beitragen?

Bühler: Factoring hat nichts mehr mit dem zu tun, was man in den 90er oder 00er Jahren im Studium gelernt hat. Factoring ist zwischenzeitlich ein extrem flexibles System der Forderungsfinanzierung geworden. Lokale Geschäfte, aber auch komplexere internationale Strukturen lassen sich abbilden. Dies funktioniert sogar in Verbindung mit Lagerfinanzierungen. Möglich machen dies unter anderem die perfekten Datenschnittstellen, die nicht nur Rechnungen transferieren können, sondern auch Lagerbestände. Darüber hinaus können auch Supplier-Finanzierungen über solche Schnittstellen transferiert werden. Die Factoring-Gesellschaften müssen lediglich sicherstellen, dass die gelieferten Daten verifizierbar sind. Insofern hat sich Factoring von einem standardisierten Rechnungsankauf-System zu einem vielseitig anwendbaren, Asset-basierten Finanzierungsinstrument entwickelt.

Immer mehr Finanzierungsplattformen kommen derzeit als Start-ups auf den Markt und versprechen zwischenzeitlich im B2B-Sektor schnelle, unkomplizierte Finanzierung zu fairen Konditionen. Die Finanzierungsinstrumente dieser Start-ups sind Bankkredite, Factoring-Finanzierungen oder Einkaufsfinanzierungen. Hebeln diese Fintechs zukünftig den traditionellen Finanzierungsmarkt aus?

Bühler: Die Entwicklungen im privaten Bereich zeigen seit Jahren, dass sich unsere Art, ein Geschäft zu tätigen, stark verändert hat. Plattformen wie Amazon oder Ebay sind aus dem Privatkundengeschäft kaum noch wegzudenken. Sichere Zahlungsmodalitäten sind gewährleistet, teilweise auch auf Rechnung oder mit Ratenzahlungen. Wir können sicher sein, dass diese Rechnungen bzw. Ratenzahlungen dann auch finanziert sind. Auch im B2B-Bereich gibt es derzeit viele Entwicklungen, vor allem im Finanzierungsmarkt. Diese funktionieren für einfache Standardgeschäfte in Form von standardisierten Finanzierungsinstrumenten schon ganz gut und sind genauso gesichert wie über Amazon oder Ebay. Bei den Standardprodukten ist das Kopierrisiko nicht unbedingt gegeben. Komplexe Finanzierungsstrukturen, die für komplexe Produkte oder Anlagen notwendig sind, können derzeit aus unserer Sicht über Plattformen noch nicht abgewickelt werden. Erfahrungswerte mit diversen Anbietern zeigen dies. Berater sind daher noch nicht aufgrund der Komplexität dieser Geschäfte aus dem Finanzsektor wegzudenken, die Finanzierungsarchitektur erfolgt also noch ganz „old School“. Der breite Erfahrungsschatz der Beratungsbranche kann also auch technikaffinen CFOs dienlich sein.

Einige Entwicklungen aus der Zulieferer-Industrie lassen sich bestimmt auf andere Branchen übertragen. Haben Sie generelle Empfehlungen zur Finanzierungsstrategie in volatilen Zeiten?

Groschupp: Wir sprechen drei generelle Empfehlen zur Finanzierung aus. 1. Luft zum Atmen: Antizipieren Sie Veränderungen in der Kunden-, Produkt und Wertschöpfungsstruktur möglichst frühzeitig und berücksichtigen Sie diese bei der Ausgestaltung der notwendigen Finanzierungslaufzeit und -flexibilität. 2. Mut zu neuen Wegen: Prüfen Sie alternative und innovative Finanzierungsquellen jenseits der klassischen Bankkredite. 3. Solides Fundament: Vermeiden Sie riskante „Cocktail-Finanzierungen“, stattdessen sollte der Aufbau einer stabilen Finanzierungsarchitektur als strategisches Ziel angestrebt werden.

Kurzporträt Dr. Wieselhuber & Partner

Dr. Wieselhuber & Partner (W&P) ist eine unabhängige, branchenübergreifende Top-Management-Beratung für Familienunternehmen sowie für Sparten und Tochtergesellschaften von Konzernen unterschiedlicher Branchen. Sie ist spezialisiert auf die unternehmerischen Gestaltungsfelder Strategie, Innovation & New Business, Digitalisierung, Führung & Organisation, Marketing & Vertrieb, Operations, Performance Improvement, Finance und Controlling sowie die nachhaltige Beseitigung von Unternehmenskrisen durch Corporate Restructuring und Insolvenzberatung.

Christian Groschupp ist Mitglied der Geschäftsleitung und leitet das Competence Center Finance bei Dr. Wieselhuber & Partner GmbH. Seine Kompetenzschwerpunkte sind die Erstellung und Umsetzung von Finanzierungskonzepten sowie die Restrukturierung der Passivseite.

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