Übergreifend

Erfahrungen im Impfzentrum

Sieben Fragen an die Apothekerin

Über kaum etwas ist in den vergangenen Wochen so viel geschrieben und gesendet worden wie über die Arten von Impfstoffen, ihre Wirksamkeiten und Nebenwirkungen. Statt Informationsvielfalt herrscht Informations-Wirrwarr. Daher haben wir für i deas eine Expertin gefragt, die mit beiden Beinen in der Praxis steht. Apothekerin Kathrin Bauerrichter ist die pharmazeutische Leiterin des Impfzentrums für den Kreis Lippe in Lemgo. Sie ist dort Ansprechpartnerin in pharmazeutischen Fragen für die Ärzte und die Kreisgesundheitsbehörde, vor allem ist sie aber für die Aufbereitung der Impfstoffe zuständig. Der Biontech-Impfstoff muss zunächst rekonstituiert, das heißt mit 0,9-prozentiger Kochsalzlösung verdünnt werden. Der Astrazeneca-Impfstoff wird gebrauchsfertig geliefert. Beide Vakzine müssen aber noch auf Spritzen gezogen werden. Das geschieht in einem aseptischen Raum. Die Apothekerin übernimmt das selbst und leitet andere Pharmazeutinnen und Pharmazeuten, die unterstützend im Impfzentrum tätig sind, darin an. Für i deas haben wir ihr sieben Fragen gestellt.

 

Wie sehen Sie die Diskussion um die verschiedenen Impfstoffe?

Kathrin Bauerrichter: Ich finde es wichtig, darüber zu diskutieren und sich zu informieren. Aber letztlich hat man nicht viel Auswahl. Entweder man nimmt den Impfstoff oder man nimmt ihn nicht. Die Leute, die hier ins Impfzentrum kommen, die diskutieren nicht mehr, die wollen geimpft werden. Die Älteren sind froh, dass sie mit Biontech geimpft werden. Die Jüngeren, Mitarbeitende des Rettungsdienstes, Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher – also alle, die Kontakt mit vielen Menschen haben, – freuen sich über Astrazeneca. 

 

Wenn es heißt, Astrazeneca hat nur 65 Prozent Wirkung– was bedeutet das?

Kathrin Bauerrichter: Mit dem Impfstoff Biontech werden Infektionen mit dem Coronavirus zu 95 Prozent verhindert. Bei Astrazeneca sind es weniger, aber – und das ist ja sehr wichtig bei dieser Krankheit – eindeutig schützt Astrazeneca vor einem schweren Krankheitsverlauf. Es gibt auch keine Todesfälle mehr.

 

Mit welchen Nebenwirkungen muss ich nach einer Impfung rechnen? Was berichten die Menschen, die bei Ihnen geimpft wurden, dazu?

Kathrin Bauerrichter: Wir hören Berichte von den typischen Impfnebenwirkungen, wie wir sie auch von Grippeimpfungen kennen: Kopf- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost, auch mal Durchfall, man fühlt sich eben wie bei einem grippalen Infekt. Aber das trifft längst nicht jeden, und es ist nichts, was man nicht mit einer Paracetamol in den Griff bekäme. Manche haben sich einen Tag ins Bett gelegt und dann war es wieder gut. Andere haben die Paracetamol-Tablette schon vor der Impfung eingenommen, denen ging es fabelhaft. Die einen berichten von Nebenwirkungen nach der ersten Dosis Astrazeneca, andere von Nebenwirkungen nach der zweiten Dosis Biontech.

 

Wie funktionieren diese beiden Impfstoffe?

Kathrin Bauerrichter: Vom Prinzip her funktionieren beide Impfstoffe ähnlich: Sie werden geimpft, und der Körper bildet Antikörper, die hinterher, im Ernstfall, das echte Virus bekämpfen. Astrazeneca basiert dabei auf einem modifizierten Adenovirus, das Schimpansen befällt und Schnupfen auslöst, für den Menschen aber harmlos ist. Ein Adenovirus wird mit dem Covid-Spike-Protein gekoppelt. Dieses Protein ist das Antigen, gegen das der Körper die Antikörper bilden soll, um sich zu wehren. Immer, wenn irgendwann später ein ähnliches Virus im Körper auftaucht, erkennt das Immunsystem das als fremd und arbeitet mit seinen Antikörpern dagegen. Diese Methode kennen wir auch von anderen Impfungen, sie ist gut erforscht.

 

Und wie verhält es sich mit dem Biontech-Mittel?

Kathrin Bauerrichter: Biontech arbeitet ähnlich. Das Mittel verwendet aber keinen Trägervirus, sondern transportiert Messenger-RNA, auch M-RNA genannt, eingehüllt in winzige Fetttröpfchen, die Nano-Lipidtröpfchen, ins Zellinnere. Diese M-RNA darf man nicht mit der DNA, unserem Erbgut, verwechseln. M-RNA ist quasi so etwas wie ein Bauplan für ein nicht infektiöses Fragment des Virus. Es wird dann von der Zelle produziert und veranlasst das Immunsystem, Antikörper herzustellen. Wenn dann das echte Virus kommt, ist der Körper durch den Impfstoff vorbereitet und kann sich wehren. Das passiert nicht ganz unbemerkt, sondern es können Nebenwirkungen auftreten. Biontech ist etwas reiner und dadurch sanfter, es ist eine moderne Form von Impfstoff. Allerdings ist die Anwendung dieses Prinzips bei einem Impfstoff auch noch nicht so gut erforscht. In 20 Jahren wissen wir mehr.

 

Würden Sie sich impfen lassen?

Kathrin Bauerrichter: Ich bin sogar schon geimpft, weil ich wie die vielen anderen Mitarbeitenden hier im Impfzentrum Kontakt zu sehr vielen Menschen habe. Die Impfung dient unser aller Sicherheit. Allerdings habe ich noch im vergangenen Jahr gesagt, ich lasse mich nicht impfen. Ich war skeptisch, weil die Biontech-Impfung neu ist. Mittlerweile bin ich aber komplett vom Gegenteil überzeugt. Biontech ist zwar ein moderner Impfstoff, aber die Antikörpertherapie, bei der wir RNA-Teilstücke des Virus nutzen, um Antikörper zu entwickeln, setzen wir schon lange bei der Krebsbehandlung ein und haben sie gut erforscht. Dort werden andere RNA-Teilstücke verwendet, aber das Prinzip ist gleich.

Ich selbst hatte nach meiner zweiten Biontech-Impfung ein Gefühl wie „Wolken im Kopf“. Die waren aber nach ein paar Stunden verschwunden. Mein Blut weist jetzt einen sehr hohen Titer-Wert auf, damit weiß ich sicher, dass der Impfstoff wirkt.

 

Welche Fragen bringen die Leute ins Impfzentrum mit?

Kathrin Bauerrichter: Die Menschen könnten viele Fragen an die Ärzte stellen, die stehen ja extra für Auskünfte bereit. Aber bei uns im Impfzentrum sind die Leute eher pragmatisch. Sie sagen: „Das müssen wir jetzt machen, sonst kommen wir nicht vom Fleck gegen die Pandemie.“ Sie haben Recht. Je mehr wir impfen, desto besser. Denn erstens gibt es viel weniger Erkrankte und zweitens viel weniger Schwerstbetroffene.

 


 

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Fakten-Check Impfen: Pro & Contra auf den Grund gegangen
Herausgeben von: Nicola Kuhrt, Dr. med. Jan Oude-Aost, Prof. Dr. Cornelia Betsch
Gräfe und Unzer Verlag, 160 Seiten
ISBN: 978-3-8338-7772-8
Softcover: 14,99 €

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