Übergreifend

Im Einsatz gegen die Pandemie

Persönliche Eindrücke aus dem Innenleben eines Impfzentrums

Nachdem Ende 2020 bekannt wurde, dass in Rekordzeit ein Impfstoff entwickelt werden konnte, der gegen eine Erkrankung nach Infektion mit dem Corona-Virus schützt, haben die Landkreise und Städte in Deutschland eilig Impfzentren aufgebaut. So auch meine Heimatstadt Osnabrück. In einer zentralen innerstädtischen Sportanlage entstanden in der Trägerschaft der Johanniter Unfallhilfe zunächst acht Impfstraßen. Zum Jahresbeginn 2021, als sich abzeichnete, dass die ersten Dosen des Vakzins zur Verfügung stehen, erfolgte ein Aufruf in der Neuen Osnabrücker Zeitung, dass das Impfzentrum freiwillige Helfer suche, die ehrenamtlich das professionelle Team unterstützen könnten. Im Rahmen meiner – zugegebenermaßen 35 Jahre zurückliegenden – Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege hatte ich die Qualifikation als Impfbefähigter erworben, und da ein bevorstehender Urlaub pandemiebedingt kein Reiseziel hatte, meldete ich mich spontan zum Dienst. Die eigentlichen Motive waren die zunehmend nervigen Kommentare der vielen Hobbyvirologen, das öffentliche Jammern über die unzureichende Impfstrategie und die persönliche Ohnmacht, die Situation beeinflussen zu können. Hier ergab sich eine Möglichkeit, das zu ändern.

Nach kurzer fachlicher Einweisung und der Auffrischung der Impfbefähigung folgte Ende Februar die erste Einteilung in ein Impfteam – zunächst in der BioNTech-Sparte, später im AstraZeneca- und Moderna-Team.

Der Impfbefähigte hat die Aufgabe, das Vakzin nach der ärztlichen Aufklärung über Risiken der Impfung in den Körper des Impflings zu applizieren. Diese Szene hat man mittlerweile hundertfach in TV-Reportagen sehen können. Ein standardisierter Prozess mit meist identischen Kommunikationsmustern: „Bitte machen Sie den Oberarm frei“ (bei Rechtshändern der linke Arm), „ich desinfiziere jetzt die Einstichstelle“, „jetzt spüren Sie einen kleinen Einstich (oder auch nicht) und „fertig“. Die Impfer übergeben dann die Impflinge für ein 20-minütiges Überwachungsintervall an Kolleginnen und Kollegen, um etwaige Spontanreaktionen auf den Impfstoff zu prüfen.
 

Zurück zur Impfung…

Die Injektion an sich ist ein trivialer Prozessschritt. Aber die Impfung ist so vielfältig wie es auch die zu Impfenden sind. Hier gibt es sehr unterschiedliche Charaktere. 
 

Die Ängstlichen

Sie betreten in deutlich erregtem Zustand mit feuchten Händen die Impfkabine und betonen immer wieder, wie furchtbar aufgeregt sie sind. Sie haben nicht etwa Angst vor einer Reaktion auf den Impfstoff, sondern vor dem Einstich. Diese Patienten verwickelt man idealerweise in ein Gespräch und kündigt die eigentliche Injektion gar nicht an.
 

Die Kundigen

Nach Betreten der Impfkabine steht vor der Impfung ein Referat über die Vor- und Nachteile von mRNA- und Vector­Impfstoffen. Hier ist das Motto: Reden lassen und impfen.
 

Die Medialen

Diese Impflinge erscheinen in aller Regel in Begleitung einer Enkelin oder eines Enkels, der oder die zunächst die Beleuchtung in der Impfkabine checkt und den richtigen Einstellwinkel sucht. Erklärtes Ziel ist es, die Szene der Impfung des Großvaters oder der Großmutter als Video für die Familien-WhatsApp-Gruppe im Detail festzuhalten. Film ab!
 

Die Skeptiker

Im Vergleich zu den Ängstlichen treibt den Skeptiker bis zum Schluss die Sorge um, die falsche Entscheidung getroffen zu haben, weil sich bei ihm sicherlich die bekannten Komplikationen verwirklichen werden. Der empathische Hinweis des Impfbefähigten, dass die Impfung völlig freiwillig ist, dass aber nach allen Erkenntnissen das Risiko der Impfung deutlich geringer sei als das Risiko schwer zu erkranken, führt dann in aller Regel dazu, den Skeptiker zu überzeugen.
 

Die Überglücklichen

Das sind die Impflinge, die schon lange auf diesen Tag X gewartet und ihn in ihren Kalendern rot markiert haben. Sie sind endlich am Ziel und sie freuen sich darauf, in absehbarer Zeit neue, alte Freiheitsgrade wiedergewinnen zu können. Es sind zum überwiegenden Teil die Großeltern, die sich darauf freuen, endlich wieder ihre Enkelkinder zu sehen und vielleicht sogar in den Arm nehmen zu können.

 

Die Mitarbeit im Impfteam ist beeindruckend und dies in vielerlei Hinsicht. Ein kleiner Stich in den Oberarm bedeutet für viele Menschen eine Befreiung und ein wesentlicher Schritt zurück in eine hoffentlich zeitnah wiederkehrende Normalität.

Es ist zu hoffen, dass sehr bald genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen, dass durch die Intervention der Hausärzte die Impffrequenz deutlich erhöht werden kann und sich nicht zuletzt auch Unternehmen mit eigenen Impfzentren einbringen können. Sämtliche Impfbefähigte fordere ich auf, sich aktiv an der Impfstrategie zu beteiligen.

Zum Schluss noch eine für mich spaßige Episode aus der Impfkabine: Eine junge Dame, die sich, was nicht zu übersehen war, als Tattookünstlerin ausgab, konnte geimpft werden, da sie ihre bettlägerige Großmutter pflegt. Nachdem die dekorative Einstichstelle desinfiziert war, sagte die Dame ganz lapidar: „Da bin ich ja mal gespannt, wie Sie stechen…“


Bild: Dr. Peter Gausmann im Einsatz gegen die Pandemie.

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