Internationales
Osteuropas Wirtschaft trifft es hart
Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das östliche Mitteleuropa und Osteuropa stehen in Deutschland weniger im Lichtkegel der Öffentlichkeit, obwohl die Wirtschaftsbeziehungen zu diesen Ländern sehr eng sind. Andreas Krebs, Ante Banovac und Jonathan Höh weiten im Interview für „dialoge“ den Blick auf das Geschehen bei unseren östlichen Nachbarn. Die drei Gesprächspartner arbeiten für die GrECo Gruppe, den führenden Versicherungsmakler in Osteuropa. Für GrECo sind mehr als 1.000 Mitarbeitende in 16 Ländern tätig. Hauptsitz der Gruppe, mit der die Ecclesia Gruppe kooperiert, ist Wien.
Wie wurden das östliche Mitteleuropa und Osteuropa von der COVID-19-Krise getroffen?
Ante Banovac: Alle Länder sind von der Pandemie betroffen. Nichtsdestotrotz reagierten die Regierungen je nach dem allgemeinen Zustand des Gesundheitssystems und anderen lokalen Gegebenheiten unterschiedlich schnell und mit verschiedenartigen Maßnahmen. In Mittel- und Osteuropa, insbesondere in der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarn, reagierte die Regierung frühzeitig mit der Schließung der Grenzen und der Einschränkung des sozialen Lebens im Land. Die Türkei und Russland erkannten die schwerwiegenden Auswirkungen, die COVID-19 auf ihre Länder haben würde, nicht und meldeten auch keine Fälle der Krankheit innerhalb ihres Landes. Das Virus traf beide Länder etwas verzögert, aber noch härter als andere, so dass den lokalen Behörden keine andere Möglichkeit blieb, als rasch und stringent zu reagieren. Dies führte zum Beispiel in der Türkei zu einer vollständigen Abriegelung über mehrere Tage.
Welche Branchen sind von der Krise am stärksten betroffen?
Jonathan Höh: In Österreich ist der am stärksten betroffene Wirtschaftssektor der Tourismus, der 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes trägt, gefolgt von den Automobilzulieferern – einem weiteren starken Wirtschaftsfaktor – und anderen Branchen wie Metall und chemische Produkte.
Die Dominanz deutscher und österreichischer Firmen insbesondere in Mittel- und Südosteuropa über ausländische Direktinvestitionen spiegelt sich auch in der Branchenstruktur dieser Länder wider. Daher sind dort ähnliche Branchen betroffen wie in Österreich. In einigen Ländern, in denen GrECo präsent ist, beispielsweise in der Türkei und in Kroatien, ist der Tourismus noch wichtiger. In diesen Ländern werden die Auswirkungen der Krise aufgrund von Reisebeschränkungen noch schlimmer sein.
Lassen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen bereits abschätzen?
Ante Banovac: Im Moment ist es sehr schwer vorhersehbar, welche Auswirkungen die Pandemie und insbesondere die Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung des Virus auf die Wirtschaft haben werden, da unklar ist, wann die Beschränkungen letztendlich aufgehoben werden. Auch wenn die Regierungen versuchen, die Auswirkungen mit verschiedenen Hilfspaketen zu begrenzen, ist zu erwarten, dass die Wirtschaft im Jahr 2020 in allen Ländern deutlich schrumpfen wird.
Haben Unternehmen oder Branchen ihre Arbeitskräfte mit Lohnkürzungen in Kurzarbeit geschickt? Oder gibt es sogar Entlassungen?
Ante Banovac: Kurzarbeit und Entlassungen sind in verschiedenen Branchen in ganz Osteuropa zu beobachten. Alle Industriezweige, die ihre Produktion oder ihren Betrieb einstellen mussten, vor allem aber das verarbeitende Gewerbe und der Tourismus, mussten auf die entgangenen Einnahmen mit erheblichen kostensenkenden Maßnahmen reagieren. In Österreich ist das Konzept der Kurzarbeit für Unternehmen aller Branchen, unabhängig von ihrer Größe, von großer Hilfe. Leider waren nicht alle Länder bereit oder in der Lage, ihren lokalen Unternehmen ähnliche Regelungen anzubieten, was zu vielen Entlassungen führte.
Wie helfen die Regierungen den Unternehmen bei der Bewältigung der Krise? Gibt es staatliche Programme, schnelle Kredite?
Ante Banovac: Die Reaktionen der Regierungen auf die drohende Wirtschaftskrise, die infolge der Pandemie ausgelöst wurde, sind in den Ländern, in welchen die GrECo Gruppe präsent ist, sehr unterschiedlich. In Österreich bietet die Bundesregierung mittels eines Corona-Krisenmanagementfonds sowie durch Garantien für Überbrückungskredite signifikante Hilfe an. Zusätzlich werden einige stark betroffene Branchen mit bestimmten Programmen unterstützt.
Kleinere Kreditprogramme sind in verschiedenen osteuropäischen Ländern zu sehen. In diesen Ländern werden auch Steuerzahlungen gestundet und Moratorien für Darlehenszahlungen sowie in einigen Fällen auch für Versicherungsprämien oder Mieten für Nichtwohnimmobilien gewährt. Alle Maßnahmen zielen darauf ab, die kurzfristige Teamliquidität der lokalen Unternehmen zu erhöhen, und treffen multinationale Unternehmen des Finanzsektors, die in diesen Ländern tätig sind, hart.
Die Beschränkungen treffen auch die internationalen Lieferketten. Wann werden diese wiederhergestellt?
Ante Banovac: Es ist schwer abzuschätzen, wann oder ob wir jemals wieder einen Grad der globalen Verflechtung wie vor der Krise haben werden. Die Reisebeschränkungen beeinträchtigen die internationalen Lieferketten immens. Wir verfolgen aufmerksam die Diskussion innerhalb der EU über die Wiederöffnung der Grenzen, und es sind bereits erste Anzeichen einer Besserung zu beobachten, zum Beispiel die Öffnung der Grenze zwischen Deutschland und Österreich seit Mitte Juni. Aber selbst wenn der grenzüberschreitende Reiseverkehr wieder vollständig erlaubt sein wird, bleibt die Unsicherheit über die Lieferfähigkeit der Lieferanten bestehen. Zudem ist derzeit zu beobachten, dass die Verbraucherausgaben in den Ländern, in denen die Beschränkungen teilweise aufgehoben wurden, nicht sofort wieder anziehen, was sich auch in einem geringeren Bedarf an Lieferungen widerspiegeln wird.
Verlaufen die Prolongationen wie geplant, oder nehmen Sie Veränderungen wahr?
Jonathan Höh: Dies ist im Moment recht schwer zu beantworten, aber die Versicherer erbringen ihre Leistungen von zu Hause aus und versuchen in der Regel, die auslaufenden Fristen einzuhalten. Daher haben wir keine signifikanten Veränderungen im Verhalten der Versicherer festgestellt und betrachten diese Situation in einem sich verhärtenden Markt sogar als Vorteil für unsere Kunden. Bei der D&O- und Kreditversicherung können wir beobachten, dass einige Versicherer in verschiedenen Ländern derzeit restriktiver sind und höhere Quotierungen anbieten. Es bleibt abzuwarten, ob dies eine kurzfristige Entwicklung ist oder, wie einige unserer Spezialisten und Partner glauben, das erste Anzeichen eines sich verhärtenden Marktes in Erwartung schwerer COVID-19-bezogener Schadenfälle. Nichtsdestotrotz ist es für alle, für uns als Risikoberater und Makler, für die Versicherer, aber auch für die Kunden, eine Herausforderung, sich auf die neue Situation einzustellen.
Wie sind allgemein die Reaktionen der Versicherungsbranche?
Andreas Krebs: Die Versicherer halten ihren Betrieb gut aufrecht, sowohl für administrative Arbeiten als auch für die Schadenbearbeitung. Sie werden Ansprüche im Zusammenhang mit COVID-19 in den typischen Versicherungsarten, in denen sie dazu verpflichtet sind – Kranken-, Reise- und Kreditversicherungen –, recht schnell auszahlen. In anderen Geschäftszweigen, wie Betriebsunterbrechung und Haftpflicht, werden sie sich die Wordings genau ansehen und, wenn immer möglich, Ansprüche ablehnen oder versuchen, eine gütliche Einigung zu erzielen.
Beobachten Sie einen Anstieg bei bestimmten Arten von Ansprüchen?
Andreas Krebs: Das zurzeit am häufigsten diskutierte Thema ist die Betriebsunterbrechungsversicherung in der Tourismusbranche. Die Versicherer sind der Meinung, dass eine Pandemie nicht unter den Epidemie-Schutz fällt und versuchen, Ansprüche abzulehnen. Der österreichische Versicherungsverband hat einen Vorschlag unterbreitet, Kunden mit Epidemie-Deckung einen Teil der Differenz von ihrem Verlust und den vom Staat geleisteten Rückerstattungen als Kulanzzahlung zu erstatten. Viele Kunden werden dies akzeptieren, andere Ansprüche werden vor Gericht gehen.
Sind Partnerschaften zwischen der Regierung und der Versicherungswirtschaft zu erwarten, beispielsweise ein Pandemie-Fonds zur Deckung von Risiken ähnlich einem Terror-Fonds, der in mehreren Ländern besteht?
Andreas Krebs: Es ist noch früh für einen Ausblick in dieser Hinsicht, aber die Geschichte lehrt uns, dass der Staat eher zögerlich ist, sich auf eine spezifische Partnerschaft mit der Versicherungswirtschaft einzulassen. Wenn eine Pandemielösung gefunden werden soll, wird dies von den Initiativen des privaten Versicherungsmarktes abhängen, wie den Versicherungspools für Terrorismus, Atomkraft etc. mit einer begrenzten Versicherungssumme pro Einzelrisiko. Wie bei NatCat wird es kein politisches Interesse an einer gemeinsamen Lösung zwischen dem Staat und den privaten Versicherern geben.
Welche Auswirkungen wird die Krise in verschiedenen Branchen haben?
Andreas Krebs: Wie in den meisten Industrieländern werden einige Wirtschaftszweige stark von der Krise betroffen sein, darunter sind die Versicherungszweige Gesundheit, Reisen, Kredit, Haftpflicht, D&O, Berufshaftpflicht im Gesundheitssektor, Transport und Betriebsunterbrechung in gewissem Umfang. Die Versicherer werden ihre Bedingungswerke überdenken und die Tarife dort erhöhen, wo sie es für wichtig erachten. Die Absicht, sich ganz aus bestimmten Geschäftszweigen zurückzuziehen, ist noch nicht erkennbar.
Welche anderen Trends lassen sich beobachten?
Andreas Krebs: Die Digitalisierung, über die in den vergangenen Jahren viel diskutiert wurde, hat in der Krise ihren Realitätscheck erfahren. Sie wird der neue Faktor der Fähigkeiten und Kapazitäten und damit des Erfolgs für alle am Versicherungsmarkt Beteiligten sein. Die Bedeutung von Versicherungsverträgen wird weniger die einer Kasse für kleine, hochfrequente Schadensfälle sein, sondern eher die einer echten Unterstützung bei Großereignissen. Generell kann sich das Portfolio bis zu einem gewissen Grad ändern, abhängig vom Verhalten der Kunden nach der Krise –- weniger Prämien für Kraftfahrzeuge, Transport und Luftfahrt, mehr für Haftpflicht, Finanzsparten, Krankenversicherung und sogar parametrische Deckungen.
Die Gesprächspartner:
Andreas Krebs, Leiter Versicherungsvermittlung, Marktkoordinator für osteuropäische Märkte (Head of Insurance Mediation Services)
Ante Banovac, Leiter Vertrieb und Marktkoordination der GrECo Gruppe (Head of Group Sales & Market Coordination)
Jonathan Höh, Vertriebs- und Marktkoordinator (Group Sales & Market Coordinator)