Übergreifend

COVID-19-PANDEMIE – EIN FALL DER HÖHEREN GEWALT?

Weltweit sind inzwischen mehr als 2,1 Millionen COVID-19-Fälle bekannt (Stand 17. April, Johns-Hopkins-Universität). Für Unternehmen ergeben sich hierdurch existenzielle Gefahren. Eine wichtige Frage ist dabei: Inwieweit haftet ein Unternehmen für Lieferausfälle etc., wenn es aufgrund der derzeitigen Situation nicht mehr produzieren oder liefern kann? Unabhängig davon, ob die Ursache in seinem eigenen Herrschaftsbereich gesetzt wurde oder ob es am Ausfall von Zulieferern liegt. Hier eine Übersicht, welche vertragsrechtlichen Aspekte Unternehmen berücksichtigen müssen.

Relevante Fragen

Für die betroffenen Unternehmen stellen sich in der derzeitigen Konstellation hinsichtlich der Durchführung ihrer Liefer-/Kauf-/Werkverträge etc. immer wieder dieselben Fragen:

  1. Sind geschlossene Verträge weiterhin wirksam?
  2. Kann man aufgrund der COVID-19-Pandemie Verträge kündigen, Bestellungen stornieren oder von Verträgen zurücktreten?
  3. Muss trotz Nichtleistung gezahlt werden?
  4. Fällt gegebenenfalls Schadenersatz an?

 

Vertragliche Regelungen

Zunächst ist festzuhalten, dass ein Vertrag in einer Pandemie nicht automatisch unwirksam wird, grundsätzlich sind die Vertragspartner an den Vertrag gebunden. Allerdings kann es dennoch Fälle geben, in denen den Parteien ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann.

Im ersten Schritt muss geprüft werden, ob im jeweiligen Vertrag eine Regelung für eine derartige Vertragsstörung enthalten ist. In der Regel ist ein Leistungshindernis aufgrund unvorhersehbarer, betriebsunabhängiger Ereignisse unter dem Punkt „Höhere Gewalt“ (auch „Force Majeure“) zu finden. Die entsprechende Regelung muss eine ausführliche Definition enthalten, da der Begriff „höhere Gewalt“ nicht gesetzlich definiert ist. Auch die Rechtsfolgen müssen in der Regelung eindeutig bestimmt sein.

Handelt es sich um eine Regelung aus den allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein, damit die Regelung wirksam und für den Kunden verbindlich ist (Stichwort „überraschende Regelung“). Diese AGB-Kontrolle sollte durch einen rechtlichen Berater erfolgen.

 

Höhere Gewalt

Liegt eine solche vertragliche Regelung nicht vor, muss auf die allgemeinen rechtlichen Grundsätze und Regelungen zurückgegriffen werden, die klären, ob ein Leistungshindernis vorliegt. Das Leistungshindernis „höhere Gewalt“ ist nicht im Gesetz definiert.

Die Rechtsprechung versteht unter „höherer Gewalt“ ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist. Es kann mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden und ist auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmer in Kauf zu nehmen.1

Die Tatbestandsmerkmale der höheren Gewalt können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Unvorhersehbarkeit
  • Unvermeidbarkeit
  • Außergewöhnlichkeit2

Beispiele sind insbesondere Naturkatastrophen (Wirbelstürme, Erdbeben, Überschwemmungen), Epidemien und Pandemien, Kriege und politische Unruhen. Ein starkes Indiz für das Vorliegen höherer Gewalt ist der Einsatz behördlicher Maßnahmen und Warnungen. Zu berücksichtigen ist dabei immer das zugrundeliegende Rechtsverständnis des jeweiligen Landes. So kann die Frage, ob höhere Gewalt vorliegt, in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich beurteilt werden, selbst wenn die verschiedenen Rechtsordnungen ein ähnliches Verständnis diesbezüglich haben.

Derjenige, der sich auf die höhere Gewalt beruft, muss darlegen und beweisen, dass ein Fall der höheren Gewalt vorliegt und dass seine Nichtleistung darauf beruht. Es reicht also nicht, sich pauschal auf den Coronavirus zu berufen. Der Lieferant muss genau darlegen, dass die Pandemie die Nichtleistung begründet. Die Kausalkette (zum Beispiel: Pandemie – ganze Belegschaft krank – keine Alternative – Nichtleistung) ist aufzuzeigen. Das ist im Einzelfall nicht einfach.

 

RÜCKTRITT, NICHTZAHLUNG, AUFTRAGSSTORNIERUNG, KÜNDIGUNG, SCHADENERSATZ

Deutsches Recht

Liegt ein Fall der höheren Gewalt vor, so gelten bei fehlender vertraglicher Regelung die allgemeinen rechtlichen Grundsätze der Leistungsstörungen. Grundsätzlich verhält es sich dann wie folgt (wobei es natürlich immer eine Frage des konkreten Einzelfalls ist):

Wenn die Leistung tatsächlich aufgrund des Coronavirus unmöglich ist, und die Kausalkette (siehe oben) das aufzeigt, kann der Rücktritt vom Vertrag erklärt werden. Der Kunde muss die nicht erhaltene Leistung im Falle des Rücktritts nicht bezahlen.

Bestellungen können kostenfrei storniert werden, wenn der Besteller darlegen und beweisen kann, dass die Annahme der Leistung für ihn unmöglich ist. Auch in diesem Fall muss die Kausalkette dargelegt werden, die zwischen dem Coronavirus und der unmöglichen Annahme der Leistung bestehen muss (zum Beispiel: Pandemie – Betriebsschließung aufgrund behördlicher Verfügung – keine Alternative – keine Annahme).

Die Kündigung von Verträgen gibt es nur bei Dauerschuldverhältnissen, also wenn ein Leistungsaustausch zwischen den Vertragspartnern für eine gewisse Dauer vereinbart wird. Ein entsprechender Vertrag kann zum Beispiel aus wichtigem Grund gekündigt werden. Als ein wichtiger Grund ist auch höhere Gewalt genannt – also unter anderem eine Pandemie. Auch hier muss der Kunde die Kausalkette zwischen dem Coronavirus und der unmöglichen Annahme der Leistung (zum Beispiel: Pandemie – Betriebsschließung aufgrund behördlicher Verfügung – keine Alternative – keine Annahme) darlegen und beweisen.

Liefert der Lieferant nicht oder zu spät (Verzug), kann der Besteller möglicherweise einen Anspruch auf Schadenersatz erheben. Ein Beispiel:

Ein Händler H bestellt bei seinem Lieferanten L Ware. L liefert nicht und beruft sich auf den Coronavirus. Kann H von L Schadenersatz verlangen?

Wenn L die oben beschriebene Kausalkette darlegen und beweisen kann (zum Beispiel: Pandemie – ganze Belegschaft krank – keine Alternative – Nichtleistung) und ihn in dieser Kausalkette kein Verschulden trifft, hat H gegen L keinen Anspruch auf Schadenersatz. Für den Fall, dass L die Kausalkette nicht darlegen und beweisen kann oder L ein Verschulden trifft, kann ein Anspruch auf Schadenersatz nur entstehen, wenn H die Leistung des L angemahnt und ihn damit in Verzug gesetzt hat. Außerdem muss H darlegen und beweisen, welcher Schaden ihm konkret dadurch entstanden ist, dass er die Ware nicht erhalten hat.

 

Internationales Recht

Sofern das deutsche Recht nicht einschlägig ist, muss die Prüfung auf Basis des jeweils anwendbaren Landesrechts erfolgen. Maßstab in den verschiedenen Rechtsordnungen ist hierbei oftmals das UN-Kaufrecht (United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods – CISG, auch Wiener Kaufrecht). Nach Art. 79 Absatz 1 CISG verhält es sich danach wie folgt:

„Eine Partei hat für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.“

Somit bedingt das Vorliegen von höherer Gewalt auch nach UN-Kaufrecht nicht automatisch Schaden- beziehungsweise Aufwendungsersatz. In der Regel werden die Parteien von ihren Hauptleistungspflichten befreit (da nicht zu erfüllen), und jede Seite muss die nachteiligen Konsequenzen des Ereignisses selbst tragen. Möglich ist auch ein vorübergehendes Aussetzen der Vertragspflichten, gegebenenfalls mit anschließendem Kündigungsrecht.

 

Unverbindliche Reihenfolge für die Klärung

Kommt es in einem Vertragsverhältnis aufgrund der COVID-19-Pandemie zu einer Leistungsstörung, so sind zusammenfassend insbesondere die nachfolgenden Fragen zu klären:

  1. Gibt es zur Frage der höheren Gewalt eine vertragliche Regelung?
  2. Wenn ja: Was wird darin geregelt, wie sind die Rechtsfolgen?
  3. Wenn nein: Welches Recht findet Anwendung (deutsches Recht, anders-staatliches Recht, UN-Kaufrecht)?
  4. Welche Rechtsfolgen treten ein?
  5. Ist die Leistungsstörung (ausschließlich) auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen (Kausalkette)?

 

Insgesamt ist dieses Thema aus rechtlicher Sicht schwierig, es bleibt immer eine Frage des konkreten Einzelfalls.

Streitigkeiten oder Unsicherheiten können am besten vermieden werden, indem eine wirksame und eindeutige Klausel zur Frage der höheren Gewalt – inklusive klarer Regelung der Rechtsfolgen – in die vertraglichen Vereinbarungen aufgenommen wird.

Kommt es zum Streitfall, sollte unbedingt der Kontakt zu einer erfahrenen Anwaltskanzlei zur Beratung aufgenommen werden.

 

Disclaimer:

Es handelt sich um die Rechtsauffassung der Autoren, die keine Rechtssicherheit geben kann. Abweichende Rechtsauffassungen sind möglich und vertretbar. Zur Lösung von konkreten Rechtsfällen konsultieren Sie bitte einen Rechtsanwalt.

 


1 Bundesgerichtshof (BGH) NJW-RR 2008, 335 (336)

BGH NJW 1953, 184.

Diesen Beitrag teilen