Übergreifend

Der Gesetzgeber verschärft die Haftungssituation einmal mehr

Die Auswirkungen des Lieferkettengesetzes aus Versicherungssicht

Es war lange hoch umstritten, aber am 11. Juni ist es letztlich vom Deutschen Bundestag beschlossen worden, mittlerweile hat auch der Bundesrat „grünes Licht“ gegeben: das Sorgfaltspflichtengesetz, besser bekannt unter dem Namen „Lieferkettengesetz“. Das Gesetz aus dem Arbeitsministerium soll Rechtsklarheit für die Wirtschaft schaffen und die Einhaltung von Menschenrechten durch Unternehmen stärken. Es bringt auch Auswirkungen auf das Risikomanagement der Unternehmen und den Risikotransfer mit sich.

Die Rechtsvorschriften verpflichten in Deutschland ansässige Unternehmen, ihrer Verantwortung in der Lieferkette in Bezug auf die Achtung international anerkannter Menschenrechte besser nachzukommen. Dadurch sollen zum einen die Rechte der von Unternehmensaktivitäten betroffenen Menschen gestärkt werden, die innerhalb der globalen Lieferketten arbeiten. Zum anderen soll den legitimen Interessen der Unternehmen an Rechtssicherheit und fairen Wettbewerbsbedingungen Rechnung getragen werden. Wenn Umweltrisiken zu Menschrechtsverletzungen führen können, werden sie ebenfalls als Tatbestand von diesem neuen Gesetz erfasst.

 

Wesentliche Inhalte:

Das Gesetz tritt zum 1. Januar 2023 in Kraft und gilt zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden. Ein Jahr später wird es dann auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden ausgeweitet.  

Bezugspunkt des Gesetzes ist die Verantwortung der Unternehmen für ihre eigenen Niederlassungen/Gesellschaften sowie auch für ihre unmittelbaren Zulieferer. Die Einbeziehung auch mittelbarer Zulieferer soll abgestuft erfolgen. Kriterium dafür ist, ob bei den Unternehmen am Ende der Lieferkette eine „substantiierte Kenntnis von Menschenrechtsverletzungen…“ vorliegt. Überwacht und durchgesetzt werden soll das Gesetz beziehungsweise dessen Einhaltung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).

Den Unternehmen werden durch das Gesetz verschiedene Pflichten auferlegt, beispielsweise die Einrichtung eines Risikomanagements, die Regelung interner Zuständigkeiten, die Verankerung von Präventionsmaßnahmen, Transparenz und anderes mehr. Als Sanktionen bei Verstößen dienen Bußgelder und gegebenenfalls auch der Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren.   Das Gesetz enthält allerdings keine Haftungsregelungen für die Unternehmen, eine zivilrechtliche Haftung ist also nicht vorgesehen.

Die Bundesregierung spricht hier von einer „Bemühenspflicht“, allerdings nicht von einer Erfolgspflicht und auch nicht von einer Garantiehaftung. Verletzt ein Unternehmen indes diese Bemühenspflicht, so drohen vom Unternehmensumsatz abhängige Bußgelder, was im Einzelfall, je nach Unternehmensgröße, bis zu zwei Prozent des Unternehmensumsatzes betragen kann (§ 24 Sorgfaltspflichtengesetz). Eine solches umsatzbezogenes Bußgeld ist bereits aus der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bekannt und scheint für den Gesetzgeber zu einer bevorzugten Sanktionsmöglichkeit zu werden.

 

Kritikpunkte:

Den Menschenrechtsverbänden geht das Gesetz, das im Vergleich zur ursprünglichen Intention  des Ministeriumsentwurfs im parlamentarischen Prozess deutlich abgemildert wurde, nicht weit genug. Als Kritikpunkte werden von dieser Seite angeführt, dass das Gesetz zu unkonkret bleibe und beispielsweise die Haftung nicht geregelt werde. Die Wirtschaftsverbände beklagen dagegen den Eingriff in die unternehmerische Freiheit sowie die aus ihrer Sicht zu weitgehende Verantwortung für das Handeln Dritter. Sie befürchten Nachteile im internationalen Wettbewerb.

Einer Studie des Handelsblatt Research Institute zufolge, bei der 331 zufällig ausgewählte Unternehmensentscheider befragt wurden, liegen die Kosten, die aufgewendet werden müssten, um Menschenrechtsverletzungen bei Zulieferern zu vermeiden, zwischen 0,06 Prozent und 0,6 Prozent des jeweiligen Unternehmensumsatzes (siehe Handelsblatt, 18.05.2021).

 

Auswirkungen auf die betrieblichen Versicherungen:


Betriebs- und Produkthaftpflichthaftpflicht

Das Lieferkettengesetz könnte als Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB angesehen werden, welches neben der Allgemeinheit auch die einzelne Rechtsperson schützen soll. In diesem Fall könnten Ansprüche aus Drittländern direkt in Deutschland gegen den Produzenten/Endabnehmer geltend gemacht werden. Neben möglichen (versicherten) Personen- und Sachschäden könnte es auch um reine Vermögensschäden gehen. Allerdings erscheint es möglich, auch hierfür Versicherungsschutz zu erlangen, da kein diesbezüglicher Ausschluss in der allgemeinen Vermögensschadendeckung in der Betriebshaftpflichtversicherung zu erkennen ist.

 

Straf-Rechtsschutzversicherung

Rechtsverteidigungskosten können als unmittelbare Auswirkungen bei möglichen Straf- oder Bußgeldverfahren im Zusammenhang mit dem neuen Gesetz über die Unternehmens-Straf-Rechtsschutzversicherung abgesichert sein.

 

D&O-Versicherung

Nicht auszuschließen ist, dass auf dem Wege des Innenregresses die Unternehmensmanager wegen etwaiger Complianceverstöße persönlich haftbar gemacht werden und somit Kosten und Schäden entstehen, die über die D&O-Versicherung versichert sein könnten.

Die Anforderungen an Unternehmen und deren Lieferantenmanagement in der gesamten Lieferkette werden durch das Sorgfaltspflichtengesetz erhöht. Führen Unternehmen in diesem Zusammenhang nicht ausreichend wirksame Compliance-Management-Systeme ein, so können die zuständigen Manager wegen Pflichtverletzungen in die Haftung genommen werden. Das gegen das Unternehmen verhängte Bußgeld könnte als Bilanzschaden des Unternehmens gegen den verantwortlichen Manager regressiert werden.

Bei den am Markt sehr unterschiedlichen Bedingungswerken der Versicherer trennt sich dann die Spreu vom Weizen: Ein Großteil der Bedingungswerke schließt die Übernahme von Bußgeldern im Rahmen der D&O grundsätzlich aus beziehungsweise würde diese nur ersetzen, wenn dem kein gesetzliches Versicherungsverbot entgegensteht. Einige wenige Bedingungswerke bieten zumindest die Übernahme der Abwehrkosten zur Verteidigung des Managers für den Fall der Regressnahme an.

Nicht auszuschließen sind auch mögliche Drittansprüche durch Wettbewerber, die sich durch mögliche Rechtsverletzungen im Sinne des Sorgfaltspflichtengesetzes im Wettbewerb benachteiligt sehen. Auch hier würde im Falle einer unmittelbaren Inanspruchnahme des Managers oder auch auf dem Wege des Innenregresses die D&O-Versicherung greifen.

Im Ergebnis haben wir es wieder mit einer Haftungsverschärfung zu tun, die sich mit Ansprüchen und Schäden auf die D&O-Versicherung auswirken wird. Aufgrund der aktuellen Marktsituation wird dies ein weiterer Anlass für die Versicherer sein, ihre Zeichnungskapazitäten zu reduzieren, Prämien anzuheben und Bedingungen weiter einschränken zu wollen.

 

Weitere Entwicklung:

Mittlerweile plant auch die EU ein Lieferkettengesetz, das dann auch für Deutschland gelten würde beziehungsweise in deutsches Recht umzusetzen wäre. Einem ersten Entwurf zufolge soll dieses EU-Gesetz weitergehen als die deutsche Variante. So soll es insbesondere die gesamte Lieferkette gleichermaßen betreffen, es soll für Unternehmen ab 250 Mitarbeitende gelten und als Sanktion auch einen Importbann enthalten.

Allerdings war der „erste Wurf“ der EU-Kommission offenbar nicht besonders gelungen, da der Ausschuss für Normenkontrolle, ein unabhängiges Gremium der EU-Kommission, das geplante Gesetz in der vorgelegten Form offenbar scharf kritisiert hat. Vor einer Weiterführung des Gesetzgebungsverfahrens müsse die EU-Kommission das konkretisieren und die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes erläutern, was das Verfahren auf EU-Ebene sicherlich verzögern wird (siehe Handelsblatt, 24. Juni 2021).

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat aber bereits jetzt klargestellt, dass das Sorgfaltspflichtengesetz an eine künftige europäische Regelung angepasst werden soll, mit dem Ziel, Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen zu verhindern. In Anbetracht des frühestmöglichen Inkrafttretens des Sorgfaltspflichtengesetzes zum 1. Januar 2023 und der aktuellen Entwicklung auf EU-Ebene kann hier allerdings zunächst die weitere Entwicklung des Jahres 2021 abgewartet werden.

 

 

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