Haftpflicht/Rechtsschutz
Die Reform des Unternehmensstrafrechts: Wie geht es weiter?
Der deutsche Gesetzgeber arbeitet an einem neuen Unternehmensstrafrecht. Der Entwurf für ein „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ ist vom Justizministerium veröffentlicht worden und führt seitdem zu regen Diskussionen.
Aktuelle Rechtslage
Grundsätzlich ist eine strafrechtliche Haftung von Unternehmen in Deutschland nach derzeit geltendem Recht nicht möglich. Nach deutschem Rechtsverständnis ist die strafrechtliche Haftung höchstpersönlich, und damit den handelnden natürlichen Personen vorbehalten. Juristische Personen können strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. Aus diesem Grund trifft die strafrechtliche Verantwortung regelmäßig nur die jeweils handelnden Personen im Unternehmen, also die Mitarbeitenden und – insbesondere – die Organe, deren strafrechtliche Haftung durch höchstrichterliche Rechtsprechung in der Vergangenheit sehr weit ausgedehnt wurde. Beispiele sind der Contergan-Fall und der Lederspray-Fall, in denen seitens der Gerichte festgestellt wurde, dass die Organe einer Gesellschaft alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen müssen, um den Eintritt von Personenschäden Dritter zu vermeiden, ansonsten droht den Organen die strafrechtliche Verfolgung.
Gegen Unternehmen als juristische Person können aber verwaltungsrechtliche Sanktionen verhängt werden. Dies ist in den Ordnungswidrigkeitsgesetzen sowie mit den diesbezüglichen Vorschriften in den Spezialgesetzen geregelt. Die Bußgelder sind hierbei auf maximal zehn Millionen Euro begrenzt, allerdings können noch weitere Maßnahmen wie beispielsweise Auflagen, die Abschöpfung illegal erlangter Gewinne oder der Entzug von Genehmigungen hinzukommen.
Ein Blick ins Ausland
Im Gegensatz hierzu existiert bereits seit Langem ein echtes kodifiziertes Unternehmensstrafrecht in vielen Ländern weltweit. Zu nennen sind beispielsweise die USA, Kanada, Australien, Japan, China, Indien, Brasilien, Großbritannien, aber auch viele Länder in der EU wie Frankreich, Spanien, Belgien, die Niederlande, Österreich, Dänemark, die Schweiz, Polen und Portugal. In Ländern mit kodifiziertem Unternehmensstrafrecht können die juristischen Personen zusätzlich zu den handelnden natürlichen Personen zur Verantwortung gezogen werden. Die Sanktionsmöglichkeiten sind breiter gefächert, neben Geldstrafen, Auflagen und dem Entzug von Genehmigungen sind, je nach Land, weitere Maßnahmen möglich, die teilweise mit sehr starken Einschränkungen für die betroffenen Unternehmen verbunden sind. Hierzu zählen insbesondere
- die Einschränkung/Untersagung einer Tätigkeit,
- der Entzug von Subventionen, Finanzhilfen, Beihilfen,
- der Ausschluss aus Vergabeverfahren,
- Werbeverbote,
- der Einsatz eines Compliance Monitors (externer „Aufpasser“),
- die Veröffentlichung der Tat an „geeigneter Stelle“ und
- die Zerschlagung des Unternehmens als Ultima Ratio („corporate death penalty“).
Hinzu kommt noch der für Unternehmen extrem schädliche Reputationsverlust, der oftmals mit Umsatzeinbußen einhergeht.
Lage in Deutschland ändert sich
Diesem Beispiel soll nun auch die Bundesrepublik folgen. Bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zur derzeit laufenden 19. Legislaturperiode wurde eine entsprechende Passage aufgenommen, wonach das Sanktionsrecht für Unternehmen neu geregelt und damit auch verschärft werden soll. Bußgelder sollen an den Unternehmensumsatz gekoppelt werden, und es sollen verfahrensrechtliche Änderungen eingeführt werden, auch um gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch interne Ermittlungen zu regeln (siehe Koalitionsvertrag zur 19. Legislaturperiode, Seite 126, Zeilen 5895 ff.).
Am 22. April 2020 hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) einen überarbeiteten zweiten Gesetzesentwurf veröffentlicht. Die Vorgängerversion hieß noch „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“. Unter dem neuen Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ findet sich in Artikel 1 das „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“ (VerSanG-E), ebenfalls in Entwurfsform. Die wesentlichen Neuerungen durch das VerSanG-E lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Eigenständige gesetzliche Grundlage
Durch das VerSanG-E wird eine eigene gesetzliche Grundlage für die Sanktionierung von Verbandsstraftaten (der Begriff umfasst auch Unternehmensstraftaten) geschaffen. Dies dient der Vereinfachung und Übersichtlichkeit.
2. Legalitätsprinzip
Bei Verbandsstraftaten muss nun aufgrund des Legalitätsprinzips die Staatsanwaltschaft bei Verdachtsfällen ein Ermittlungsverfahren einleiten. Dies war bislang in den Ordnungswidrigkeitsgesetzen in das Ermessen der Behörde gestellt (Opportunitätsprinzip).
3. Verbandssanktionen
Notwendig ist das Vorliegen einer nach den VerSanG-E sanktionierten „Verbandstat“ – einer Straftat, durch die dem Verband obliegende Pflichten verletzt wurden zum Zwecke der Bereicherung des Verbands. Diese muss durch eine Leitungsperson oder eine andere in Wahrnehmung von Angelegenheiten des Verbands tätigen Person begangen worden sein. Hierbei ist es auch hinreichend, wenn eine Leitungsperson die Tat durch angemessene Vorkehrungen hätte verhindern oder wesentlich erschweren können. Als Rechtsfolge kann dann eine Verbandsgeldsanktion oder eine Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt verhängt werden (§ 8 VerSanG-E). Im vorherigen Gesetzesentwurf war noch die Verbandsauflösung als weitere Sanktion genannt, diese Möglichkeit wurde im zweiten Entwurf gestrichen.
4. Rahmen der Verbandsgeldsanktionen
Die Höhe der Geldsanktion ist abhängig vom Umsatz des Unternehmens und von der Art der Straftat (Vorsatz oder Fahrlässigkeit). Gemäß § 9 VerSanG-E ist für Unternehmen mit Umsätzen bis 100 Millionen Euro die Obergrenze der Geldsanktion 10 Millionen Euro (bei Fahrlässigkeitsdelikten 5 Millionen Euro). Bei Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro beträgt die Obergrenze 10 Prozent des Jahresumsatzes (bei Fahrlässigkeitsdelikten 5 Prozent).
Grundlage für die Bemessung soll hierbei die Tat selbst sein, also deren Bedeutung sowie auch das Ausmaß und die Schwere des Unterlassens angemessener Vorkehrungen zur Vermeidung. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens sind ebenfalls zu berücksichtigen, der Umsatz als solcher aber nicht (§ 15 VerSanG-E).
Auch kann die Einführung eines Compliance-Management-Systems, sogar nach Begehung der Verbandstat, als sanktionsmildernd berücksichtigt werden (§ 15 Abs. 2 Nr.7 VerSanG-E).
5. Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt
Als abgemilderte Form der Sanktionierung kann das Gericht auch das Unternehmen verwarnen, eine Verbandsgeldsanktion bestimmen und deren Verhängung unter bestimmten Voraussetzungen vorbehalten, also quasi eine Geldsanktion „auf Bewährung“ aussetzen. Möglich ist auch eine Mischform, also zum Beispiel die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion, bei der die Hälfte des Sanktionsbetrages zur Bewährung vorbehalten bleibt.
6. Öffentliche Bekanntmachung der Verbandssanktion
Bei einer größeren Anzahl von Geschädigten kann die Verurteilung öffentlich bekannt gemacht werden (§ 14 VerSanG-E).
7. Unternehmensinterne Untersuchungen
Um die Auswirkungen der möglichen Sanktionierung abzumildern, kann das Unternehmen interne Untersuchungen entweder selbst vornehmen oder Dritte („Compliance-Monitor“) mit deren Durchführung beauftragen (§§ 16, 17 VerSanG-E). Grundsätzlich lassen sich hierdurch eine Unterbrechung des gegen das Unternehmen geführten Verfahrens (§ 41 VerSanG-E), eine Halbierung des vorgesehenen Höchstmaßes der Unternehmenssanktion sowie ein Entfall des Mindestmaßes und eine Vermeidung der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung des betroffenen Unternehmens erreichen (§ 18 VerSanG-E).
Verunsicherte Wirtschaft durch neues Unternehmensstrafrecht?
Seitens der Wirtschaft wird die Einführung eines Unternehmensstrafrechts, nun in Form des VerSanG-E, sehr kritisch gesehen. Hieran dürften auch die im Vergleich zum ersten Entwurf vorgenommenen Modifizierungen nichts ändern.
Hauptvorwurf ist, dass ein solches Unternehmensstrafrecht die Unternehmen verunsichere. Mögliche Sanktionen bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes können für Unternehmen existenzbedrohend sein. Darüber hinaus erleiden Unternehmen nach Ansicht der Wirtschaft schon durch strafrechtliche Ermittlungen und die damit verbundene Berichterstattung einen hohen Imageschaden, der nicht wiedergutzumachen ist, selbst wenn sich herausstellt, dass die Vorwürfe unberechtigt sind (siehe hierzu auch: Arbeitsgemeinschaft Mittelstand, Positionspapier zum Unternehmensstrafrecht). Rechtsdogmatisch wird weiterhin angeführt, dass „Schuld“ nur natürliche Personen auf sich laden können, insoweit Unternehmen nicht schuldhaft (und damit auch nicht strafrechtlich relevant) handeln können.
In Anbetracht der Veröffentlichung des zweiten Entwurfs des Gesetzes nimmt das gesetzgeberische Vorhaben immer deutlichere Formen an. Trotz der weiterhin zu erwartenden kontroversen Diskussionen, die möglicherweise auch noch zu weiteren Änderungen führen, wird der Gesetzgeber von seinem grundsätzlichen Kurs sehr wahrscheinlich nicht mehr abweichen.
Rechtsverteidigung kann abgesichert werden
Versicherungsschutz bei straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Ermittlungen gegen Unternehmen kann im Rahmen einer Industrie-Strafrechtsschutzversicherung abgeschlossen werden, und zwar für die Kosten der Rechtsverteidigung. Auch in Betriebshaftpflichtpolicen sowie in D&O-Policen können Strafverteidigungskosten gedeckt sein, dort in der Regel aber nur dann, wenn ein Zusammenhang zu einem versicherten Haftpflicht- oder D&O-Schaden besteht. Bußgelder oder Verbandsgeldsanktionen selbst sind nicht versicherbar. Es ist zu erwarten, dass sich die Schadenlast bei Umsetzung der Gesetzesvorlage erhöhen wird, maßgebliche Änderungen in den Bedingungswerken sind aber nach jetzigem Stand nicht erforderlich.